Das Hotel Raketa

„Man muss einen Ort nur verlassen, schon keimt die Saat des Wahnsinns“ (Andrej Stasiuk)

Uwe Schloen Hotel Raketa

Das Projekt, die Dauerausstellung „Hotel Raketa“ bezieht sich auf ein legendäres Hotel in Prag. Direkt neben dem alten Bahnhof an den Gleisen gelegen. Nicht weit davon das Cafe Arco in dem Franz Kafka gerne saß. Das Hotel wurde vor einigen Jahren abgerissen.

In diesem Hotel verkehrten alle, die kein bis wenig Geld hatten., Artisten, Künstler, Prostituierte, Trinker, Morphinisten, Leute aus den Tiefen des Ostens.

Bettler mit grässlich wund gescheuerten Beinen, Frauen mit heraushängenden Brüsten und Männer mit offenen Hosen wuselten dort Tag und Nacht durcheinander.

Ich hatte das Vergnügen dort zwei Nächte zu verbringen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Damals wusste ich nicht, dass daraus ein Kunstprojekt werden würde, aber diese Nächte haben mich nachhaltig beeindruckt.

Lassen sie uns jetzt durch die verschiedenen Räume gehen. Den merkwürdig aufdringlichen Treppenboy lassen wir erst mal links liegen. Im Flur hier sehen sie Fotos, negativ abgezogen. Wie in jedem Hotel hängen auch hier Bilder der Umgebung, also aus Kummerow. Der ehemalige Konsum, die riesigen Silos und anderes.

Rechts gehen wir in das Frauenzimmer. Dieses Zimmer ist immer voll, Treffpunkt aller.

Irgendwer hat seinen Hund mitgebracht.

Einige sind in ein Gespräch verwickelt.

– Natürlich ist in den 12 Räumen hier nicht alles in Geschichten verpackt, manche Räume haben andere Kriterien, Form, Farbe, Zeitpunkt der Herstellung – aber natürlich bleibt der rote Faden der des Hotels. In manchen Räumen wohnen Leute, zu denen gibt es keinen Kontakt, sie wollen für sich bleiben, mit anderen kommt man sofort ins Gespräch.

Hier ein Überbleibsel aus DDR-Zeiten: Hohe Leistungen zum Wohle des Volkes und für den Frieden.

Die Frauen rund um den Springbrunnen scheinen anderes im Sinn zu haben. Sie haben kein Brett vorm Kopf, sondern Fotos von Schaufensterpuppen. Der Versuch auszusehen wie die Vorbilder aus Film und Werbung, die mittlerweile auch die Männer erreicht hat.

In den seltensten Fällen gelingt ist.

Wie eine Kunsthistorikerin einmal sagte, haben die Figuren dadurch zumindest ein Gesicht und sei es auch nur Masken artig. Sonst blickt man oft nur in leere Augenhöhlen.

 

Im hinteren Raum die Rückenkrabbler. Meist werden sie sehr pessimistisch gesehen, was auch stimmt, zum anderen sind sie noch in der Lage sich zu bewegen. Auch wenn dies recht merkwürdig aussieht und sie ihr Innerstes dem Betrachter entgegenrecken.

Wie man dort hinten sieht schleicht sich meist auch ein Mann ins Frauenzimmer.

Die Hängende dort in der Ecke symbolisiert das Leiden, das Leiden der Frauen. Ich habe sie in Italien hergestellt, wo man in vielen Winkeln mit den Leiden der Heiligen konfrontiert ist. Und irgendwie auch mit den eigenen.

Hier unter der Treppe sehen wir zwei Figuren mit Eimer auf dem Kopf. Eimer für alle sozusagen.

„Nie wieder scheitern“ ist natürlich ein etwas irriger Wunsch, denn Scheitern gehört zum Leben, zur Kunst im Besonderen dazu. Ohne Scheitern keine Meisterwerke, keine Entwicklung. Man möchte das erste enttäuschende Gefühl nicht, aber man sollte es im großen Ganzen sehen.

Die meisten Gäste des Hotels Raketa gehören, aus gesellschaftlichen Sicht, zu den Gescheiterten.

Aber wer will dies wirklich beurteilen?

Im Grunde kann dies nur jeder für sich selbst.

Hier im Flur 2 Figuren mit Hund und eine Kobold artige, die andere mit sich schleppt, unlöslich verbunden. Gehören die zur Familie oder wo kommen die her?

Dazu auch : Nicht alles folgt bei der Herstellung einem gedanklichen Plan, einiges entsteht aus formalen, spielerischen Gründen, um auszuprobieren, auch zu scheitern.

Eine Skulptur ergibt die nächste.

Uwe Schloen Hotel Raketa
Uwe Schloen Hotel Raketa

Links geht es in den Engel, bzw Raum der Reisenden. Engel gehören ja mit zu den ersten Reisenden. Handlungsreisende . Allerdings sind diese Engel eher irdisch, die Flügel sind zu schwer, sie werden eher dadurch am Boden gehalten. Irdische Engel, aber keine gefallenen Engel, wie jemand bemerkte, denn sie stehen ja alle noch. Aber fremd sind ihnen menschliche Abgründe nicht.

Was hier im Hotel auch schwerlich möglich ist.

Wenn wir durch diese beiden Silikonwächter hindurch gehen kommen wir ins Badezimmer.

Gehen sie durch und schauen sie, lassen sie ihre Fantasie spielen, aber nehmen sie nicht das Handtuch mit. Das wird ja gern gemacht in Hotels.

Zurück in diese drei Räume: Ich sage kurz etwas dazu und dann gehen sie einfach durch.

Merkwürdige Gestalten auch hier, Krüppel mit Silikon überzogen. Zum Silikon.:

Das kennen wir aus zwei Gebieten , aus dem Badezimmer und aus der Schönheitschirugie.

Wer denkt, dass dies ein und dasselbe ist, hat evtl. nicht so unrecht.

Es steht also für Abschottung, abdichten und für den Straftatbestand der Vorspiegelung falscher Tatsachen. Und genauso ist es,die Figuren werden abgedichtet nach außen, quasi geschützt vor der Umwelt und zum anderen denken viele das Material sei hart, es ist aber weich. Fassen sie ruhig mal an.

In den Räumen dahinter die Schaukelnden, finster , graue Gestalten. Im hinteren Raum buntes fahrendes Volk. Artisten wie die Schaukelnden. Die junge Frau sucht einen „jungen Mann zu mitreisen“. Aber wer sucht den oder die nicht? Aber ob das der junge Mann ist, der gerade seinen Kopf in die Steckdose steckt, steht zu bezweifeln. Und auch bei dieser vom äußerlichen her harmonischen Gruppe ist jemand ausgeschlossen, so scheint es. Er steht in der Ecke und schämt sich. Worüber, darüber können wir nur spekulieren.

Die anderen besprechen , wie es mit ihm oder überhaupt weitergeht, bzw versuchen eine neue Übung einzustudieren.

Wir verlassen jetzt das Erdgeschoss und gehen an dem Treppenboy vorbei nach oben.

Oben dann gleich links bitte!

Die Welt griff nach ihnen und fing sie ein. Es war, als seien sie in diesem Hotelzimmer in ihren Schlingen erstarrt.“ (Zitat von Andruchowytsch)

Uwe Schloen Hotel Raketa
Uwe Schloen Hotel Raketa

Hier befinden wir uns im größten Raum des Hotels. Und wie sie sehen sind hier viele, sehr viele untergekommen. Ja, erstarrt in ihren Gummistiefeln, aber irgendwie hat man auch das Gefühl, drehe man sich um, dann käme Bewegung in die Masse. Einzeln wirken sie niedlich, wie Kinder.

Sie stehen in Gruppe, in den Gruppen allein, wie auf einen Schulhof. Sie können nicht berühren, aber uns können sie durch ihren Anblick rühren. Oder auch verschrecken.

Bei dieser Menge weiß man nicht mehr genau, was haben die eigentlich vor. Sie stehen und schauen aus Glasaugen. Aber was führen sie im Schilde?

Zur Form: Jede Holzskulptur, die aus einem Stück gefertigt ist,braucht einen Sockel, damit sie steht.

Dies macht sie starr, was ich versuchte aufzubrechen.

Die Mafia-Methode, in Beton eingießen. Ich komme aus dem nassen Dreieck, zwischen Bremen und Hamburg, dort sind Gummistiefel all gegenwärtig. Und viele kennen das Gefühl in den zu großen Gummistiefeln, evtl die alten von großen Bruder, dumm in der Gegend herumzustehen.

Die Figuren sind unterschiedlich bearbeitet, oft mit Stoffen, oft von alten Kittelschürzen.

Da ist der Osten eine wahre Fundgrube.

Raum und Skulptur ergeben hier ein spezielles Ganzes, als seien sie füreinander gemacht.

Die Reifen sind zum einen ein Symbol für die uns umgebende von Landwirtschaft geprägte Gegend. Und auch für unsere schnelllebige Wegwerfgesellschaft. Zum anderen eignen sie sich gut,

um Situationen darzustellen, kleine Gruppen in der Masse zu zeigen.

Wie z.B. diese dort mit den dunklen Kappen, die nichts Gutes im Schilde führen.

 

Auf dem Flur links kommen wir in den „blauen“ Salon. Der Silikonraum. Auf den ersten Blick scheinen die Dinge und Figuren nichts miteinander zu tun zu haben, beim zweiten könnte sich dies ändern. Die Madonna und der Fernseher. Wie fast alle Figuren von mir wirken sie verloren, andererseits aber auch stolz, so zu sein wie sie sind. Ambivalent, sie haben beide Seiten in sich.

Und auch, wie Karl Valentin sagte, die dritte Seite der Medaille, die humorvolle.

Vielleicht ist vieles ein Selbstporträt, oder zumindest Teile davon.

Schauen sie den Gang entlang, dort steht auch so eine Silikonfigur. Verkrüppelt? Von langen Armen getragen.

Uwe Schloen Hotel Raketa
Uwe Schloen Hotel Raketa

Dazu möchte ich nochmal betonen, nicht alles hat eine Botschaft, eine tiefere Bedeutung, sondern ist auch Spiel mit Form und Figur. Eine Skulptur ergibt die nächste, wie schon gesagt. Jedes Kunstwerk entsteht im Auge des Betrachters. Und nicht nur dort.

Die grauen Figuren hier haben sich anscheinend für länger nieder gelassen. Wahrscheinlich bekommen sie einen Sondertarif vom Hoteleigner.

Entweder sind sie in Lethargie verfallen oder sie haben keine Lust mehr weiterzuziehen.

Ich beschäftige mich viel mit Gruppen, Gruppenzusammenhängen.Sie stehen, sitzen, krabbeln, aber in den seltensten Fällen haben sie etwas miteinander zu tun. Verloren in der Gruppe.

Sie suchen nicht mehr, sie haben endgültig entdeckt, erfahren, dass es keinen Sinn gibt, schon gar nicht einen Sinn des Lebens. Oder wie Tschechow sagte: Der Sinn des Lebens?

Das ist eine Karotte!

Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Zufälligerweise ist das auch meine Sicht der allgemeinen Gemengelage.

Nebenan können wir erkennen, trotz einem Brett vor dem Kopf kann es möglich sein hindurchzuschauen. Die Figuren sind in diesem Raum, weil die Glasaugen wunderbar mit den Punkten auf der Wand dahinter korrespondieren.

Dazu eine kurze Beschreibung des Romans „Der Einzelgänger“ von Eugene Ionesco:

Ein kleiner Angestellter, der in einem schäbigen Hotel ein schäbiges Zimmer als Dauermieter bewohnt, hat unverhofft eine Erbschaft gemacht und kann sich jetzt eine komfortable Wohnung kaufen. Doch wie er es auch anstellt, er findet dort, in der teuer erkauften Sicherheit, nicht jene Gelassenheit gegenüber dem Leben, die ihm das Hotelzimmer bot.

Gehen wir jetzt über den Flur, in dem sich selbst in der dunklen Ecke 2 Figuren niedergelassen haben. Das Hotel ist wahrlich ausgebucht, überbelegt.

Aber die Kinder haben hier hinten noch einen Platz zum Schaukeln gefunden.

Oder sind es gar keine Kinder?

So kommen wir in den letzten Raum, in dem sich weiße Silikonfiguren aufhalten. Dieses kniende Päarchen zum Beispiel. Macht er ihr einen zweifelhaften Antrag?

Vielleicht sollten wir sie einfach allein lassen. Das Leben, so eingeschränkt es auch ist im Hotel Raketa, geht auch hier einfach weiter.

Wer weiß was hier los ist, wenn die Türen geschlossen sind?

Tanzen die Figuren dann und lachen über das Leben ausserhalb? Oder legen sie sich einfach schlafen?

Kommen sie einfach irgendwann wieder und gucken mal, ob sich etwas verändert hat.